Schrödingers Volk – existent und nicht-existent zugleich

Andrée auf X

Autor: Andrée

die höllenfahrt der republik

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Wie kann es sein, dass es zugleich "kein deutsches Volk" gibt – und gleichzeitig "das deutsche Volk" immer dann bemüht wird, wenn es um Schuld geht?

Dieses Paradoxon erinnert an Schrödingers Katze: Sie ist zugleich tot und lebendig, bis der Beobachter die Box öffnet. Ähnlich verhält es sich mit dem "deutschen Volk": Es existiert und existiert nicht – je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet.

Juristisch ist die Sache klar: Das Grundgesetz spricht vom "deutschen Volk" (Art. 20, Art. 116 GG). Auch das Völkerrecht kennt Staaten und deren Völker. Individuelle Schuld ist aber nur bei einzelnen Menschen möglich, das Strafrecht folgt dem Schuldprinzip: "Keine Strafe ohne Schuld". Eine "Kollektivschuld" ist ausgeschlossen.

Politisch, ethnisch und moralisch hingegen wird das "Volk“ sehr wohl als Einheit betrachtet, zumindest, wenn es um Verantwortung für die Vergangenheit geht. Formulierungen wie "die Deutschen sind schuld" zeigen, dass das Volk hier als moralisches Subjekt konstruiert wird. Gleichzeitig wird in anderen Diskursen bestritten, dass es überhaupt so etwas wie ein "deutsches Volk" gebe – man spricht dann lieber von "den Menschen, die hier leben", oder "die hier Lebenden".
Dabei ist der ethnische Fakt unstrittig: Ein deutsches Volk existiert historisch, kulturell und sprachlich seit Jahrhunderten. Die Frage ist nicht, ob es existiert, sondern wann es im Diskurs sichtbar gemacht oder unsichtbar gemacht wird.

Das führt zur paradoxen Überlagerung: Nicht-Volk, wenn es um Identität oder nationale Selbstdefinition geht. Volk, wenn es um historische Schuld und Verantwortung geht.

Und hier kommt ein zentraler Aspekt ins Spiel, der oft übersehen wird: die Beobachterrolle. In der Schrödinger-Metapher entscheidet nicht die Katze über ihren Zustand, sondern der Beobachter. Übertragen auf den Diskurs bedeutet das: Nicht das Volk selbst verändert seinen Zustand, sondern die, die darüber sprechen. Medien, Politik, Institutionen, Aktivisten – sie alle fungieren als "Beobachter", die mit ihrer jeweiligen Perspektive festlegen, ob das Volk existiert oder nicht.

So wie in der Quantenmechanik ein Zustand erst durch die Beobachtung eindeutig wird, kollabiert auch hier die Überlagerung erst im Moment der Zuschreibung. Je nachdem, wer beobachtet und welche Absicht dahintersteht, wird das deutsche Volk zum moralischen Kollektivsubjekt – oder zum nicht existenten Konstrukt.

So bleibt das deutsche Volk Schrödingers Katze im Diskurs: existent, wenn Schuld verteilt wird – inexistent, wenn Identität eingefordert wird.