Mut

Was lauert im Wald?

Autor: Michael P.

Wissen Sie was ein Draug ist? Mir war diese Kreatur ehrlich gesagt nicht bekannt, bis ich sie gemeinsam mit meinen Kindern entdeckt habe – in dem herrlich illustrierten Buch „Nordische Wesen“. Dieses hatten uns Freunde zur Wintersonnenwende geschenkt und zielsicher stöberten die Kinder natürlich nach den grausigsten und unheimlichsten Spukgestalten in dem Band aus der Feder von Johan Egerkrans. Also ein Draug ist ein Wiedergänger, die rastlose Seele eines abgrundtief bösen Menschen, der auch nach seinem Tod andere heimsucht. Glühende Augen liegen tief in seinem Schädel, messerscharfe Zähne lechzen nach dem Fleisch Unschuldiger und mit seiner hageren Gestalt kauert er bevorzugt auf alten Hünengräbern. Dort lauert im fahlen Mondlicht auf Unglückliche, die sich in kalten Nächten in die Nähe seiner schartigen Klauen verirren.

Soweit die Theorie. Wenig überraschend bereitete den Kindern – die sich im Grundschulalter befinden – die schaurig-schöne Gestalt einiges Unbehagen und sorgte für unruhige Träume. Jetzt wäre die naheliegende Reaktion der meisten Wohlfühl-Eltern heutzutage, postwendend zu beteuern, dass es natürlich alles nur Phantasieprodukte sind. Selbstverständlich existieren Monster und Geister nicht. Und es gibt nicht den geringsten Grund vor irgendetwas Angst zu empfinden. Ich habe das Gegenteil gemacht und passenderweise stand für den Folgetag eine Nachtwanderung mit zwei Kameraden und deren Kindern an. Es lag frischer Schnee. Der Neumond versteckte sich hinter einer dichten Wolkendecke – perfektes Ambiente also für einige Mutproben. Und je tiefer wir in den dichten Wald vordrangen, desto nervöser wurde das Geschnatter der kleinen Schar. Schon beim Marsch über angrenzende Felder ging der eine oder andere Blick verstohlen über die Schulter, ob da nicht vielleicht doch am Wiesenrain so ein blutdurstiger Draug aus der Deckung lugt. Später galt es dann, im finsteren Forst ohne Taschenlampe alleine kurze Strecken durch unwegsames Gelände zu bewältigen und zum Finale stand ein Abstecher in den „Totenwald“ an. Spätestens da gab es dann erste Dämpfer in der Moral. Aber das war nicht schlimm, natürlich ist es nicht das Ziel, die Kinder zu traumatisieren. Und jeder wurde nur soweit gefordert, wie er konnte und mochte. Es ging völlig in Ordnung sich doch für die Abkürzung an Papas Hand zu entscheiden.

Es gab nur Gewinner an diesem Abend, weil jedes Kind seine persönlichen Grenzen weiter gesteckt hatte und mutiger geworden war. Und klar ist auch, dass jeder einen anderen Entwicklungs- und Reifegrad besitzt. Nur eine Sache haben wir als Väter nicht gemacht: Den billigen Ausweg anzubieten, indem wir dem Moment seiner Magie berauben und das Geschehen rational entzaubern. Denn wer weiß schon, was wirklich in den Schatten lauert? Es schadet weder, vorsichtig zu sein, noch seinen Mut zu stählen. Wer seinen Kindern vermittelt, es gebe in dieser Welt keine Monster und man müsse sich vor nichts fürchten, der begeht in meinen Augen einen schweren Fehler. In unseren Vorfahren war das Wissen um Werwölfe und Nachtmahre, um Irrlichter und Quälgeister noch fest verankert. Dadurch hatten diese Menschen einen natürlichen Instinkt für Gefahren, sie waren umsichtiger in bestimmten Situationen und vertrauten mehr auf ihr Bauchgefühl, wenn es ihnen an der dunklen Weggabelung eiskalt den Rücken hinab lief. Mut zählt zu den neun edlen, germanischen Tugenden – der Gastfreundschaft haben wir uns an anderer Stelle bereits gewidmet. Mut bedeutet nicht, keine Angst zu empfinden. Es bedeutet, die Angst zu überwinden. Es bedeutet, mit der lebhaften Phantasie eines Kindes einmal nachts durch Wald und Flur zu streifen und sich dem Grusel zu stellen. Die Welt ist nach wie vor voller Monstern – leider sind sie nicht immer so leicht zu erkennen wie ein Draug. Der Päderast, der kleinen Mädchen auf der unzureichend gesicherten Schultoilette auflauert ist so ein sehr reales Scheusal. Da draußen existieren zahllose Perverse, Halsabschneider und seelenlose Profiteure, von denen uns große Gefahr droht. Skrupellose Gestalten, die es auf unsere Freiheit, unsere körperliche Integrität und unsere psychische Gesundheit abgesehen haben.

Angst ist eines der wichtigsten Werkzeuge totalitäre Regime. Angst lähmt, macht blind und taub. Sie macht empfänglich für fadenscheinige Propaganda und holzschnittartiges Denken. Systeme, die so handeln, die wollen keine mutigen Bürger. Die wollen nicht, dass bereits Kinder lernen, ihre Ängste zu konfrontieren und diese zu überwinden. Also gilt es beizeiten, sich und die Seinen gegen diesen Terror – lateinisch für Schrecken – zu wappnen. Das kann und wird uns gelingen - nur Mut!