Irdische Unsterblichkeit – Germanischer Glaube an die Wiederverkörperung in der Sippe

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Autor: Michael P.

Die Erforschung der ureuropäischen Frühgeschichte erlebte in den dreißiger und vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Blüte. Zahlreiche wegweisende Schriften erschienen in diesen Jahren, die aus heutiger Sicht in Vergessenheit geraten zu sein scheinen. Der vorrangige Grund dafür ist sicher die vermeintliche politische Belastung der Autoren und Forscher, denen man verwehrt, sie in ihrem historischen Kontext zu begreifen und zu gewichten. Diese Haltung ist ein Fehler, denn sie engt unseren modernen Blick auf die eigene Ur- und Frühgeschichte ein. Erkenntnisse, die mit großer Akribie und wissenschaftlicher Sorgfalt erarbeitet worden sind, werden leichthin als „toxisch“ verworfen und vorsätzlich vergessen. Dabei ist in diesen Schriften der damalige historische-politische Gegenwartsbezug häufig nachrangig. Im Fokus steht die unvoreingenommene und fundierte Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen der Menschheit.

In dieser Tradition findet sich die kurze Schrift „Irdische Unsterblichkeit – Germanischer Glaube an die Wiederverkörperung in der Sippe“ von Karl August Eckhardt von 1937, die jetzt im Forsite-Verlag dankenswerter Weise neu erschienen ist. So bleibt sie einem kleinen, interessierten Publikum erhalten. Der Autor untersucht, inwiefern die vorchristlichen Europäer einen Glauben an Wiedergeburt kultiviert haben. Dabei bedient er sich vorrangig der Genealogie, also der Abstammungslehre. Er betrachtet für verschiedene nord- und mitteleuropäische Kulturzentren die Namensweitergabe innerhalb von Familien und Sippen. Auf diese Weise kommt er zu der schlüssigen These, daß es bis zum Ende des ersten Jahrtausends nach der Zeitenwende eine weit verbreitete Praxis war, Neugeborenen den Namen eines verstorbenen Verwandten zu verleihen. Damit war die Überzeugung verbunden, daß der Ahn im Nachfahren inkarniert – er übernimmt dessen Wesenszüge ebenso wie äußere Merkmale. Es war unüblich, ein Kind nach einem lebenden Mitglied der eigenen Sippe zu benennen; dies galt als böses Omen. Im Gegenzug nahmen zahlreiche Fürsten – und andere Persönlichkeiten, von denen dies überliefert ist – ihren Familien das Versprechen ab, daß ein zukünftig Geborener ihren Namen tragen sollte. Aus zahlreichen Saga, archäologischen Funden und anderen Quellen webt Eckhardt ein umfassendes Bild. So beleuchtet er auch die Jenseitsvorstellungen anderer indoeuropäischer Völker und differenziert vor allem sehr deutlich die germanische Vorstellung von Wiedergeburt von der indischen. Letztere ist eher als Martyrium zu verstehen, also ein Durchlaufen von Entwicklungsphasen, das schließlich im Nirvana endet. Im archaischen Europa hingegen gab es keine Wiedergeburt in Tieren oder Pflanzen. Man verstand es nicht als Strafe, die einen vom Paradies fernhält, sondern vielmehr als absolute Erfüllung, den irdischen Tod in der eigenen Blutlinie zu überwinden. Das ist die Unsterblichkeit unseres Menschenschlages, der wir uns auf Der dritte Blickwinkel bereits gewidmet haben.

Eckhardts Abhandlung ist in einigen Facetten nicht deckungsgleich mit jüngeren Texten zu diesem Thema. Bei Varg Vikernes vollzieht sich die Wiedergeburt beispielsweise erst im siebten Lebensjahr, wohingegen Eckhardt diese bereits auf den neunten Lebenstag datiert. In meinen Augen spricht dies aber eher für eine lebendige und aufgeschlossene wissenschaftliche Diskussion – denn absolute Aussagen sind nach Jahrtausenden und einer gründlich christianisierten Geschichts- und Religionswissenschaft nicht mehr möglich.

„Irdische Unsterblichkeit“ empfiehlt sich nicht unbedingt als Einstieg in die Materie, wer aber bereits die Schriften von Dennis Krüger gelesen hat, dem ist das vorliegende Werk eine wertvolle Ergänzung und Vertiefung. Es ist im Übrigen auch Krügers Verdienst, bzw. das seines Verlages, daß uns dieser wichtige Baustein zum Verständnis unserer Herkunft und unserer Überwindung des Todes erhalten geblieben ist.